Was ist überhaupt eine toxische Beziehung?

Eine toxische Beziehung ist eine im Kern «dysfunktionale Beziehung», d.h. es ist eine Liebe zwischen Extremen, ein permanenter Wechsel zwischen Glück und Katastrophe. Auf glückliche Momente mit viel Nähe und Zuneigung folgt plötzlich eine Phase der Distanz und Kälte. Oft gibt es hierfür keinerlei Erklärung oder der Auslöser ist eine an sich unbedeutende Kleinigkeit und dieses Muster wiederholt sich immer wieder in einem nie endenden Kreislauf. Im Extrem äußern sich solche Partnerschaften auch als On-/Off-Beziehungen mit regelmäßigen Trennungen.

Geprägt sind diese Beziehungen auch durch ein Machtgefälle, das heißt, einer der Partner ist der dominante, fordernde Part, dessen Wünsche und Bedürfnisse im Vordergrund stehen, und der andere Teil hat die Aufgabe, diese zu erfüllen. Dominanz, Kontrolle, Abwertung, Egoismus und (emotionale) Gewalt sind ständige Begleiter. Emotionales Drama und Schmerz nehmen immer mehr Raum in der Beziehung ein, die glücklichen Zeiten nehmen immer mehr ab.

 Anfängliche Kennzeichen einer toxischen Beziehung

Am Anfang solcher Beziehungen steht meistens das sog. Love-Bombing. Der neue Partner überschüttet einen mit Liebesbekundungen, Aufmerksamkeiten und oft auch Geschenken. Man fühlt sich wie im Siebten Himmel. Der andere ist für einen da, hat die gleichen Interessen und Ansichten, verbringt gerne Zeit mit einem, schickt nette Nachrichten und ach… man ist eben so verliebt, es passt einfach wie das Dotter zum Ei. Man verbringt möglichst viel Zeit miteinander, auch Pläne werden schnell geschmiedet: gemeinsame Wochenenden und Urlaube, teilweise wird sogar schon in den ersten Wochen vom Zusammenziehen, Heiraten und Kinderkriegen gesprochen. Es fühlt sich an wie ein wahrgewordener Traum – endlich hat man den Partner gefunden, den man sich immer gewünscht hat, das fehlende Gegenstück, den Seelenpartner…

Vor lauter Glücksgefühlen merken wir gar nicht, dass dieses Überschütten mit Liebe und Aufmerksamkeit nicht gesund sein kann.

Hinzu kommen Versprechen, die Noch-Ehefrau zu verlassen oder eben der gemeinsame Urlaub, das Zusammenziehen, Heiraten und Kinderkriegen. Dieses sog. Future-Faking hat das Ziel, Bedürfnisse sofort erfüllt zu bekommen ohne Konsequenzen ziehen zu müssen. Wer von uns kennt das nicht, dass man z.B. schneller Sex hatte als geplant, weil man ja sowieso für immer zusammenbleiben wird.

Dein Kopf dreht sich ab sofort nur noch um Dein Gegenüber und Deine Beziehung zu IHM. Du beschäftigst Dich jede freie Minute mit ihm und Deinen Freundinnen erzählst Du stundenlang, wie toll er ist und was er alles kann, macht, denkt etc. Er ist zu Deinem einzigen Fokus im Leben geworden.

Warum bin und vor allem bleibe ich in so einer Beziehung?

Menschen, die sich niemals in solch einer Beziehung befunden haben, werden das kaum verstehen. Meistens bekommt man aus dem Umfeld von Freunden und Familie den Ratschlag, sich dieses Verhalten nicht gefallen zu lassen und einfach zu gehen… Doch genau das scheint einfach unmöglich. Bis man sich selbst bewusst darüber wird, dass man nicht gut behandelt wird, steckt man emotional schon viel zu tief drin.

Meistens haben wir in unserer Kindheit einen emotionalen Mangel an Zuwendung und Liebe erlebt. Oder unser Selbstwertgefühl ist gering, wir haben Depressionen, eine frische Trennung hinter uns, einfach Angst vor dem Alleinsein oder stecken in sonst einer Krise. Wenn dann der Prinz auf dem weißen Pferd kommt, sind wir natürlich anfällig für sein Werben.

Die Abwärtsspirale

Schleichend beginnt dann nach einigen Wochen oder Monaten die Abwärtsspirale. Zuerst sind es nur Kleinigkeiten, die Dir zwar komisch vorkommen, aber denen Du nicht weiter Beachtung schenkst. Dein Partner sagt etwas Abwertendes über Dich, oft aus dem Nichts heraus. Dein Bauchgefühl schlägt Alarm, aber Du ignorierst es – jeder kann ja mal einen schlechten Tag haben… Doch diese Begebenheiten häufen sich, immer öfter wird Dir suggeriert, dass Du nichts kannst, nicht schlau, hübsch, intelligent, eloquent etc. bist-  kurz: dass Du nichts wert bist.

Hinzu kommt, dass Du nicht offen sagen kannst, was Dich belastet. Wenn Du es versuchst, gibt es endlose Diskussionen und Dramen. Du versuchst, Deine Gefühle zu erklären, immer wieder, in anderen Worten, mit Beispielen. Vergeblich. Dein Partner versteht Dich einfach nicht. (Oder will Dich nicht verstehen!) Im Gegenteil, je mehr Du erklärst, umso aufgeheizter wird die Stimmung. Es kommt zum Streit, Drama, Rieseneklat. Du bist schuld, machst immer einen Elefanten aus einer Mücke, tickst nicht richtig, bist zu sensibel…. Hauptsache, Dein Gegenüber ist nicht schuld und es findet sich auch keine Lösung. Oder Dein Partner verabschiedet sich wortlos während Eures Gesprächs oder macht gleich Schluss, weil Du so «zickig» und anstrengend bist.

Du fängst immer mehr an, wie auf Eierschalen zu laufen. Du beobachtest jede Regung Deines Partners, in der Hoffnung, rechtzeitig die Wogen glätten zu können oder irgendetwas zu tun, damit die Stimmung gut bleibt. Du ziehst Dich immer mehr von Freunden und Deiner Familie zurück. Was sollst Du ihnen auch sagen? Wenn Du sagst, dass Du unglücklich bist (wenn Du das irgendwann mal selbst realisiert hast, was dauern kann), dann raten sie Dir zur Trennung. Aber das geht nicht. Allein bei der Vorstellung davon, bekommst Du Panikattacken und Angst.

Also entschuldigst Du die Ausbrüche und Abwertungen Deines Partners – vor anderen, falls sie etwas mitbekommen – und auch vor Dir selbst. Denn Dein gesunder Menschenverstand und auch Dein Bauchgefühl sagen Dir schon lange, dass Du gehen musst, aber…

Mit der Zeit empfindest Du den Zustand irgendwie auch als normal, bei anderen läuft auch nicht alles rund, denkst Du. Und außerdem gibt es ja ab und an sehr glückliche Momente mit viel Nähe und Zuneigung. Zwischendurch verspricht Dir Dein Partner sicherlich auch, dass er sich ändert, bessert etc. Nur leider gerät das irgendwie immer wieder in Vergessenheit und es ändert sich leider nichts zum Positiven. Aber wenn Du Dich nur ein bisschen mehr anstrengst und Dich «normal» verhältst, aufhörst zu klammmern, Dramen zu veranstalten, übersensibel zu reagieren und und und… dann werdet Ihr wieder glücklich miteinander werden.

Ganz unten angekommen oder (noch) nicht?

Oft vergehen so Jahre, bis irgendwann ein Punkt kommt, an dem Du das Gefühl hast, durchzudrehen oder zugrunde zu gehen. Meist hast Du bis dahin schon einige psychosomatische Krankheiten. Irgendwie schaffst Du den Absprung und trennst Dich – oder häufiger, Du wirst entsorgt, weil Dein Partner eine viel bessere, schönere, normalere Frau gefunden hat, die einfach überhaupt alles hat und mitbringt, was er bei Dir vermisst oder Du ja nicht auf die Reihe bringst.

Die erste Zeit ist hart. Du fühlst Dich wie eine Drogensüchtige auf Entzug. Du hast Panikattacken, Deine Gedanken drehen sich in Endlosschleife um Deinen Ex (und seine Neue, die Next). Du kannst nicht schlafen, nicht essen, brichst andauernd in Tränen aus und eigentlich möchtest Du einfach nur sterben.

Irgendwann dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, geht es Dir wieder etwas besser. Vielleicht machst Du Dich sogar wieder hübsch und gehst mit Freunden aus. Du kannst wieder lachen, auch wenn Du noch oft nachts weinend im Bett liegst. Vor allem, wenn Du IHN triffst oder Dir Bilder mit seiner neuen Freundin auf seinen Social Media Profilen ansiehst. Aber Du merkst, es geht aufwärts und ein kleiner Hoffnungsschimmer macht sich breit, dass Du irgendwann auch ohne ihn wieder glücklich sein kannst.

Bereit für eine neue Runde?

Und schwupp, er meldet sich wieder. Ihr könntet Euch doch mal wieder treffen und Freunde bleiben, schließlich hatte man solch eine lange und schöne Zeit zusammen. Oder er merkt erst jetzt, wie wichtig Du ihm schon immer warst und wie viel Du ihm bedeutest. Vielleicht könnet Ihr es ja nochmal versuchen, schließlich ist jetzt ein neuer und geläuteter Mensch…

Wenn Ihr jetzt auf dieses sog. Hoovering reinfallt – und das sind hier die meisten von uns und wir haben fast alle noch eine oder mehrere Extrarunden gedreht – dann geht der Teufelskreis wieder von vorne los. Nur, dass sich die Abwärtsspirale schneller nach unten und auch noch mehr zum Abgrund hin dreht als beim letzten Mal. Und schnell sitzt Du wieder alleine da und sammelst erneut die Stücke Deiner selbst und Deines gebrochenen Herzens zusammen. Jede Frau benötigt im Schnitt sieben Anläufe, bis sie es endgültig schafft, sich aus einer toxischen Beziehung zu lösen.

Irgendwann bist auch Du soweit und Du kannst wieder nach vorne schauen. Du begreifst nun, dass Dein toxischer Partner nötig war, damit Du aus Deiner Komfortzone herauskommst. Dass Du an Deinem Selbstwertgefühl arbeiten musst, daran Grenzen zu setzen, Dir selbst das Gefühl von Geborgenheit zu geben und ganz alleine glücklich mit Dir zu werden. Dann kann vielleicht auch endlich der wahre Traumprinz in Dein Leben treten, der es auch bleibt.

Alles Liebe!